Wir sind dabei, die Strukturen zu übersetzen, und dafür gilt es, ein paar grundsätzliche Dinge gut abzustimmen. Einer der Punkte, den wir am intensivsten zusammen beleuchtet und auch mit Keith und Henri besprochen haben, ist die sprachliche Perspektive. Klingt fast ein bisschen langweilig, aber hat es in sich!
Hier ist ein Beispiel aus der Strukturbeschreibung von W3:
If the first round is weak, try a second round
Eine wörtliche Übersetzung:
Wenn die erste Runde schwach war, probiere eine Zweite
Das Schöne im englischen Original ist, dass (meistens) die allgemeine Ansprache durch “try” nicht unbedingt eine bestimmte Perspektive in der Ansprache einnimmt. (An dieser Stelle eine Entschuldigung an alle Linguisten die das hier lesen, grammatikalisch gibt es dafür natürlich Fachbegriffe).
Es könnte aber auch so übersetzt werden:
Wenn die erste Runde schwach war, probiert eine Zweite
Die erste Variante spricht eine Person an – üblicherweise eine Moderatorin oder einen Moderator – und die zweite eine Gruppe. Sehr wahrscheinlich ist, dass das Buch von Menschen gelesen wird, die in einer Moderationsrolle (nebenbei bemerkt ist das, wie wir gendern: Nennung oder Vermeidung) einnehmen und die Strukturbeschreibung lesen, um sie mit ihrem Team anzuwenden. Deswegen ist die direkte Ansprache einer Person wie in “probiere eine Zweite” natürlich richtig!
Hier noch ein anderes Beispiel aus W3, bevor das Aber kommt:
If needed, describe the sequence of steps and show the Ladder of Inference.
Variante “persönliche Ansprache”: Falls nötig, beschreibe zu Beginn den Ablauf und zeige die Inferenzleiter.
Variante “Gruppe”: Falls nötig, beschreibt zu Beginn den Ablauf und zeigt die Inferenzleiter.
Und weil es noch nicht komplex genug ist gäbe es noch die Variante “neutral”: Falls nötig, zu Beginn den Ablauf beschreiben und die Inferenzleiter zeigen.
Liberating Structures sind Methoden für Zusammenarbeit, und werden von Personen, die in einer Gruppe die Moderationsrolle einnehmen, gemeinsam MIT der Gruppe genutzt. Sehr häufig in der Praxis sind diese Personen Menschen wie wir: Moderatorinnen und Moderatoren. Liberating Structures sind jedoch keine Moderationsmethoden. Sie wurden geschaffen, um von Gruppen genutzt zu werden, um ihre Zusammenarbeit zu verändern und zu verbessern.
Warum ist das wichtig? Weil die Moderationsrolle wechselt und von jeder Person in der Gruppe eingenommen werden kann. Weil alle die Strukturen nutzen sollen.
Und da ist das Aber: Wenn ich schreibe “zeige die Inferenzleiter”, dann bin ich nicht Teil der Gruppe, sondern bin eine Moderatorin (gegendert weil .. eine von uns schreibt 😀). Ich leite die Gruppe. In diesen kleinen Beispielen wirkt das winzig, aber wir sprechen ja von einem ganzen Buch über Strukturen und Zusammenarbeit, und diese Perspektive zieht sich durch alle Strukturen. Sprache schafft Realität (also wie beim Gendern): die Distanz, die entsteht, weil “jemand” (die Person, die das Buch liest) damit eine Gruppe “anleitet”, schafft auch eine gewisse Distanz durch diese so untermauerte Rolle.
Wenn jedoch das Ziel ist, dass alle die Strukturen nutzen sollen, müsste ich logischerweise die Ansprache verändern. Wir können es ganz neutral formulieren und sagen “die Inferenzleiter zeigen”, aber das klingt wie ein olles Fachbuch aus dem Pädagogik-Seminar. Will sagen: schafft zu viel Distanz und erfordert, dass die Leserin oder der Leser für sich übersetzen müssen, dass das jemand tun sollte. Oder wir nutzen die Gruppenperspektive und sagen “zeigt die Inferenzleiter.”
Im P2P stehen Keith und Henri als “joker and jester”, also haben wir die beiden um Rat gebeten. Tatsächlich ist die Distanz ja auch im Englischen vorhanden und schafft automatisch eine Rolle namens Facilitator. Die beiden haben sich dafür entschieden, es so zu schreiben, weil es am Anfang meist eine Person gibt, die diese Rolle des Facilitators übernimmt und es diesen das Lesen der Strukturen erleichtert.
Im P2P steht auch, dass wir so nah wie möglich am Original bleiben, denn es ist eine Übersetzung und nicht unser Buch. Wenn es also nicht für den sprachlichen oder kulturellen Kontext wichtig ist, ändern wir die Inhalte nicht.
Wir haben uns dafür entschieden, dass die Erleichterung des Leseflusses gerade bei der Strukturbeschreibung enorm wichtig ist. Überall, wo beschrieben wird, wie die Gruppe arbeitet, werden wir eine Moderationsrolle annehmen und in deren Perspektive schreiben. In den allgemeinen Beschreibungen formulieren wir neutral und verzichten auf die Perspektive. Die “eigentlich” konsequente Perspektive der Gruppe nutzen wir (in diesem Buch) nicht.
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